„So sieht man sich wieder“, stellte Nando spöttisch fest.

„Im Sturm der Revolution – Ein Vermächtnis aus Liebe und Hass“

Vom Nebencharakter im ersten Band „Jean“ des Fortsetzungsromans „Im Sturm der Revolution“ wandelt sich Nando im Laufe der Zeit zu einer tragenden Rolle in der Geschichte. Sein Schicksal ist eng verwoben mit Aimées Zukunft und der ihrer Familie. Jedenfalls ist er einer jener Männer, denen man nicht gerne begegnet.

„Aethel hat mir gerade ihr Herz geöffnet“, erzählte er, als ihm das Schweigen zu lange wurde.
Pirelli lehnte sich zurück, drehte den Kopf und ließ seine Augen ins Freie schweifen. Zwischen den hohen, rußgeschwärzten Häuserschluchten wuchs die Dämmerung schneller als über den Hügeln seiner Heimat. Zweifellos fuhren sie mittlerweile durch eines der heruntergekommenen Viertel, von denen es hier unzählige gab.
„Vergiss sie. Offensichtlich ist sie zu verklemmt für uns.“
„Noch zwei Tage und sie folgt mir überall hin, egal wohin ich gehe!“ Zornesröte flutete Nandos Gesicht und er ballte die Hände zu Fäusten. „Ihr habt mich gelehrt, Dinge zu Ende zu bringen, und das werde ich.“
Der dunkle Mann unterdrückte ein Seufzen. „Dinge von Bedeutung, Dinge, die sich lohnen. Dieses Mädchen ist keinen zweiten Gedanken wert!“
„Zwei Tage“, knurrte Nando. „Gebt mir zwei verdammte Tage! Ich verspreche Euch, sie wird Euch gefallen. In ihren kornblumenblauen Augen spiegelt sich die Unschuld ihres Wesens. Gemeinsam werden wir ihr Licht auslöschen, mein Herr. Das will ich sehen! Zum Teufel, ich habe ein Recht darauf.“
Mit einer langsamen Bewegung wandte der Conte sein Gesicht wieder dem Jüngeren zu.
„Deine kühne und respektlose Rede lässt mich vermuten, dass du deine Stellung und dein Alter vergessen hast. Dennoch überlasse ich es dir, wie du die kommende Nacht verbringen willst. Du kannst wählen, ob du es vorziehst, der Versammlung heute zu dienen oder mit mir die Stadt bei einfallender Dämmerung zu verlassen. Um deinetwillen bin ich bereit, meinen Aufenthalt um weitere zwölf Stunden zu verlängern.“
Nach Atem ringend wich der Jüngere nun doch dem starren Blick des Grafen aus, der mit unbewegter Miene weitersprach. „Mir persönlich wird die Luft in London zu abolitionistisch. An jeder Ecke brüllt einer für die Freilassung der Negersklaven. Das ganze Geschrei, die endlosen Diskussionen über dieses Thema an allen Orten werden mir immer lästiger. Während in Rom …“
Trotz seines schnell pochenden Herzens und der Angst vor dem, was der Conte zu tun bereit war, siegte Nandos Neugierde. „Was ist in Rom?“
„Alessandro Graf von Cagliostro wurde dort vor einigen Monaten zum Tode verurteilt.“
Als hätte ihm jemand einen Spieß in den Hintern gerammt, schnellte Nando in die Höhe und verlor für Sekunden den Kontakt zu seinem Sitz. „Der Alchemist?“
„Nun, ich würde sagen, das ist noch eine der harmloseren Bezeichnungen für ihn. Aber ja, von ihm ist die Rede.“
„Werde ich ihn wiedersehen?“ Augenblicklich war Aethel vergessen.
„Das hängt von deinem Benehmen ab.“
Das Kinn reckend, setzte Nando sich kerzengerade hin. „An mir wird es nichts auszusetzen geben. Meinetwegen können wir sofort aufbrechen.“
Ein schmales Lächeln umspielte die Mundwinkel des Grafen, aber es spiegelte sich nicht in seinen kalten Augen, die alles Licht zu verschlucken schienen.
„Ich bin bereit dafür, bei Eurer Rache eine wichtige Rolle zu spielen“, versicherte der Jüngling, da der Conte ihn nur schweigend betrachtete.
Von den Versprechen des Jungen wenig beeindruckt, hob der Conte die rechte Augenbraue. „Wie kommst du darauf, dass ich mich an ihm rächen will?“ Seine Stimme klang ausdruckslos, ließ keine tieferen Gefühle erkennen.
„Ich kenne Euch, mein Herr. Niemals werdet Ihr den Vorfall in Straßburg vergessen. Abgesehen davon habt Ihr stets Wert auf die Begleichung aller Rechnungen gelegt. In jeder Hinsicht. Und Cagliostro schuldet Euch noch dieses Elixier.“
Der Conte antwortete nicht sofort. Deshalb zuckte Nando zusammen, als seine tiefe Stimme wenig später das monotone Rumpeln der Kutsche durchbrach: „Wenn Du Deiner lächerlichen Neigung zu widersprechen gerade mal nicht nachgibst, bist Du in der Tat ein ausgezeichneter Schüler. Das lässt mich vermuten, dass wir in Zukunft einiges miteinander erleben werden. Wer weiß, vielleicht ernenne ich dich eines Tages zu meiner rechten Hand.“